Liebe Fußballfreunde,
gestern Abend war man um ein Haar geneigt, zu glauben, es gäbe keinen Fuballgott. Denn je länger das Spiel dauerte, umso überlegener wurden die Italiener – aber ein Tor wollte trotzdem nicht fallen. Dabei war es munter losgegangen. Nach der Riesenchance von de Rossi, dessen 30-Meter-Schuss an den Pfosten klatschte, musste auf der anderen Seite Buffon zwei Minuten später mit einem Wahnsinnsreflex seine Mannschaft im Spiel halten. So entwickelte sich über die ersten 25 Minuten ein muteres Spielchen, in dem es ständig hin und her ging. Die Briten versuchten es zumeist über die Außenpositionen, wie es auch schon die Kroaten recht erfolgreich getan hatten, bei Italien lief ganz viel über Routinier Pirlo sowie den agilen und stets gefährlichen Balotelli. Ab Mitte der ersten Halbzeit wurden die Azzurri stärker. Von da an konnten sich die Three Lions einige Male bei John Terry, dem einzigen Löwen gestern auf dem Platz, bedanken, dass sie nicht schon frühzeitig unter die Räder kamen. Immer wieder tauchten Balotelli und Cassano gefährlich am oder im englischen Strafraum auf.
Die Halbzeit brachte allerdings keine großen Veränderungen. Italien machte ungefähr da weiter, wo sie vor der Pause aufgehört hatten – nämlich bei John Terry. Und immer wieder war Balotelli brandgefährlich. Es ist schon bezeichnend, wenn sich ein Stürmer im Strafraum den Ball zu Fallrückzieher zurechtlegen und dann auch noch fast das Tor treffen kann. Spätestens da kam Roy Hodgson auf der englischen Bank ins Grübeln und wechselte Walcott und Carrol ein. Das brachte auch etwas Schwung in die Partie – für etwa fünf Minuten. Die letzten 25 Minuten der regulären Spielzeit zeigten, dass beiden Mannschaften die sogenannte „zweite Luft“ fehlt. Bei den Azzurri lief im Spielaufbau nicht mehr allzu viel, bei den Engländern noch weniger. Kapitän Gerrard hatte sogar schon erste Krämpfe und Wayne Rooney schien irgendwie gar nicht auf dem Platz zu stehen. Einzig in der Nachspielzeit versuchte er es noch einmal mit einem Fallrückzieher, der aber deutlich über das Tor ging und den Stürmer wohl seine letzten Kraftreserven kostete. Halten wir noch einmal fest: Zu Beginn der ersten Verlängerung während der EURO 2012 stand es 0:0, die Südeuropäer hatten ungefähr zweimal soviel Ballbesitz und erfolgreiche Pässe geschlagen und bei den Engländern hatte Keeper Hart zusammen mit Gerrard die meisten Ballkontakte. Wenn man sich das auf der Zunge zergehen lässt, ist es schon fast verwunderlich, dass Mario Balotelli gestern niemandem etwas angetan hat. Es war sozusagen ein italienischer Abend und die Engländer drohten, ihn zu verderben. Denn die gesamte Verlängerung verlief nicht anders als während der regulären Spielzeit. Die Azzurri, die eigentlich auch stehend K.O. waren, rafften sich hin und wieder zu sehenswerten Kombinationen auf und zehn Engländer schlugen den Ball – wenn sie ihn denn mal hatten – in die gegnerische Hälfte zu Stürmer Carrol und dachten sich wohl: ‚Andy, hier hast du den Ball, wir wünschen dir viel Glück und warten hier hinten!‘ Aber selbst diese Situationen waren selten. Es soll schon Anfragen einiger Eishockey-Teams bei der ARD geben, die das Spielvideo zu Trainingszwecken haben wollen, um das italienische Powerplay zu studieren. So schleppten sich die Engländer – begleitet von einer Flanke, die an den Pfosten knallte und einem Abseitstor von Nocerino – ins Elfmeterschießen.
Doch da hatte der Fußballgott ein Einsehen. Es kann ja nicht angehen, dass England ein Elfmeterschießen gewinnt – schon gar nicht nach einem solchen Spielverlauf. Obwohl, kurz überlegt hat er wohl schon, als Montolivo den zweiten Elfer am Pfosten vorbeischoss. Und ausgerechnet der mit den deutschen Vorfahren! Aber man kann sich doch auf die Briten verlassen. Pünktlich 17 Uhr gibts Tee und beim Elfmeterschießen finden sich immer ein paar Spieler, die es nicht hinbekommen. Italien bedankt sich bei Young sowie Cole, und trifft im Halbfinale auf den neuen Europameister. Warum? Das haben wir gestern in der ARD gelernt: Wann immer England und Italien aufeinandertreffen, gewinnt Deutschland am Ende das Turnier. Also dann, freuen wir uns auf interessante Halbfinals.